Sind beleidigende und drohende Äußerungen durch Arbeitnehmende in privaten Chatgruppen als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung verfassungsrechtlich geschützt? Dürfen die Teilnehmenden des Chats auf die Vertraulichkeit pochen und das ohne Rücksicht auf die Ehre der/des Beleidigten? Oder können solche Chatverläufe – sobald sie der Öffentlichkeit bekannt werden – zur fristlosen Kündigung führen?
Diese Frage hatte das Bundesarbeitsgericht im August 2023 zu entscheiden, nachdem in den Vorinstanzen zu Gunsten des gekündigten Arbeitnehmers entschieden wurde.
Gewaltdrohung, Beleidigung und Rassismus in privater Chatgruppe
Hintergrund ist eine private, seit 2014 bestehende Chatgruppe aus sieben Arbeitnehmenden der TUIFly GmbH aus Niedersachsen. Die Beteiligten waren alle miteinander befreundet, zwei Personen sogar verwandt. Neben privaten Themen äußerte sich der betreffende Arbeitnehmer „in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise“ über Vorgesetzte, drohte mit Gewalt und verbreitete Fantasien über mögliche Tötungswege der betreffenden Personen.
Aufgrund eines Arbeitsplatzkonfliktes wurde dieser Chatverlauf allerdings durch ein Gruppenmitglied anderen Arbeitnehmenden zugänglich gemacht, welche den Chatverlauf protokollierten und den Betriebsrat sowie Vorgesetzte hierüber in Kenntnis setzten. Die Echtheit des immerhin 316-seitigen Dokumentes wurde von einem Beteiligten schriftlich bestätigt. Es folgte die außerordentliche Kündigung durch die Arbeitgeberin, wogegen der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage einreichte und später Annahmeverzugslohnansprüche geltend machte.
Nur in Außnahmefällen Schutz durch Vertraulichkeit
Während die Vorinstanzen, das Arbeitsgericht Hannover sowie das Landesarbeitsgericht Niedersachsen, dem Kläger recht gaben und hier den Persönlichkeits- und Vertraulichkeitsrechten mehr Bedeutung zurechneten, entschied der zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts anders.
Mitglieder geschlossener Chatgruppen können sich nur im Ausnahmefall auf den Schutz durch Vertraulichkeit berufen, so die Richter. Hierbei spielen die Gruppengröße und die Art der Nachrichten eine entscheidende Rolle. Sie verwiesen die Sache wieder an die Vorinstanz zurück. In der Begründung dazu heißt es: „Sind Gegenstand der Nachrichten – wie vorliegend – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.“ Nun muss der Kläger darlegen, auf welcher Basis und mit welchen Begründungen er in diesem Fall von einer Vertraulichkeit ausgeht.
Quelle:
Vorinstanz: LAG Niedersachsen, Urteil vom 19.12.2022, 15 Sa 284/22
Pressemitteilung des BAG, Urteil vom 23.08.2023, Az. 2 AZR 17/23
Stand der Informationen: November 2023
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