Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei Anweisung zur Vorlage ärztlicher Bescheinigungen_Daniel Ernst Fotolia
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Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei Anweisung zur Vorlage ärztlicher Bescheinigungen

Arbeitgeberin fordert Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab 1. Tag

Betriebsräte haben nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht, wenn der/die Arbeitgeber:in Maßnahmen bezüglich des Ordnungsverhalten von Mitarbeiter:innen ergreift, die einem kollektiven Tatbestand zu Grunde liegen. Dies kann zum Beispiel sein, wenn der/die Arbeitgeber:in Beginn und Ende der Arbeitszeit im Betrieb festlegen will oder es um die Einführung und Ausgestaltung der elektronischer Arbeitszeiterfassung geht. Wichtig dabei: diese Regelungen müssen entweder alle Arbeitnehmer:innen oder zumindest eine abgrenzbare Gruppe (z. B. eine gesamte Abteilung) betreffen. Nur dann hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.

Dieser Umstand ist für den vorliegenden Fall von großer Bedeutung, da er die Entscheidungsgrundlage bildet.

Arbeitgeberin fordert Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab 1. Tag


Es streiten ein Betriebsrat und eine Arbeitgeberin über ein Mitbestimmungsrecht bei Anweisungen zur Vorlage der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Die Arbeitgeberin erbringt krankenhausnahe Dienstleistungen und beschäftigt etwa 1.175 Arbeitnehmer:innen.

In den Jahren 2018 bis 2020 erhielten insgesamt 17 Arbeitnehmende folgende – gleichlautende – schriftliche Anordnung:

„…

in Abstimmung zwischen Ihrem Fachvorgesetzten und dem Personalleiter sind Sie ab Erhalt dieses Schreibens bis auf Widerruf dazu verpflichtet, jede Krankmeldung durch ein ärztliches Attest – vom ersten Fehltag an – im Service Center Personal vorzulegen.

Bitte beachten Sie, dass arbeitsrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden, wenn Sie dieser Nachweispflicht nicht nachkommen.

…“

Betriebsrat sieht sein Recht auf Mitbestimmung verletzt


Der Betriebsrat war nun der Meinung, dass er hierbei ein Mitbestimmungsrecht habe, da es sich um eine Maßnahme handelt, die das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer:innen betreffe (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG).

Daher machte der Betriebsrat verschiedene Unterlassungsansprüche geltend. Die Arbeitgeberin sollte es in Summe unterlassen, ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab dem 1. Tag der Erkrankung von den Arbeitnehmerinnen zu fordern, es sei denn, der Betriebsrat hat der Erteilung zugestimmt oder die Zustimmung wurde durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt.

BAG verneint Mitbestimmung


Doch die Richter des Bundesarbeitsgerichtes sahen hierfür keine Grundlage. Nach ihrer Ansicht lag in diesem Fall kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates vor. Zur Begründung hieß es:

„Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Das Ordnungsverhalten ist berührt, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers auf die Gestaltung des kollektiven Miteinanders oder die Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs zielt. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist das betriebliche Zusammenleben und kollektive Zusammenwirken der Arbeitnehmer…“

„…Verlangt ein/eine Arbeitgeber:in von Beschäftigten auf Grundlage von § 5 Abs. 1 Satz 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) in einer bestimmten Form und/oder ggf. innerhalb einer bestimmten Frist den ärztlichen Nachweis jeglicher Arbeitsunfähigkeit, ist grundsätzlich das Ordnungsverhalten und nicht das – mitbestimmungsfreie – Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer betroffen…“

Doch ist bei beiden gesetzlichen Grundlagen zur Mitbestimmung des Betriebsrates entscheidend, dass die Anweisungen des Arbeitgebers nicht auf Einzelfälle zielt, sondern auf einer Regel oder einer über den Einzelfall hinausgehenden Handhabung beruht.

Hätte die Arbeitgeberin in diesem Fall also die Regelung für alle Arbeitnehmer:innen gleichermaßen oder zumindest für eine abgrenzbare Gruppe getroffen, so wäre hier durchaus ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates anwendbar. Doch 17 Fälle innerhalb von 3 Jahren in unterschiedlichen Abteilungen sind in diesem Fall nicht als „kollektivrechtlich“ zu verstehen.

Quelle:

BAG, Beschluss vom 15.11.2022, 1 ABR 5/22

 

Stand der Informationen: April 2023

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