Um den Alltag selbstbestimmt und eingeständig zu bewältigen, haben Menschen mit Behinderung nach § 78 SGB IX ein Anrecht auf Assistenzleistungen. Diese Leistungen umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags. Dazu zählen Führung des Haushalts, Gestaltung sozialer Beziehungen, Freizeitgestaltung, sportliche Aktivitäten, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben etc.
Altersdiskriminierung aufgrund der Suche nach Assistenz im Alter zwischen 18 bis 30 Jahren?
Die Vermittlung einer solchen Assistenz wird unter anderem von der AP Assistenzprofis GmbH übernommen. Diese suchte per Stellenausschreibung im Jahr 2018 eine persönliche Assistentin für eine 28-jährige Studentin. In der Anzeige wurde nach Personen „am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt …“ gesucht. Es bewarb sich unter anderem die 1968 geborene Klägerin und erhielt von der Beklagten eine Absage. Diese sah in der Ablehnung eine Altersdiskriminierung und klagte auf Entschädigungszahlungen nach § 15 Abs. 2 AGG. Die Vermutung einer Altersdiskriminierung habe die Beklagte nicht widerlegt. Das Alter spiele, nach Ansicht der Klägerin, für das Vertrauensverhältnis im Assistenzdienst keine Rolle. Vielmehr sei die Lebenserfahrung als positiv zu bewerten. Nach Ansicht der Klägerin sei sie aufgrund ihrer Erfahrung bestens für die Stelle geeignet gewesen.
Beklagte sieht höchstpersönliche Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung im Fokus
Die Beklagte widersprach dieser Ansicht. Eine etwaige Ungleichbehandlung wegen des Alters sei nach § 8 Abs. 1 AGG bzw. nach § 10 AGG gerechtfertigt. Der Wunsch nach einer bestimmten Altersgruppe ist eine höchstpersönliche Voraussetzung zur Befriedigung der höchstpersönlichen Bedürfnisse aufgrund der vollständigen Abhängigkeit der assistenznehmenden Person und des ständigen Zusammenseins mit der Assistenzperson. Dies ist notwendig, damit die Assistenznehmerin angemessen am sozialen Leben als Studentin an einer Universität teilnehmen kann.
BAG ruft EuGH um Entscheidung an
Die Richter des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) riefen den Europäischen Gerichtshof (EuGH) an. Es sollte geklärt werden, inwieweit zum einen der Schutz vor Diskriminierung wegen des Alters und zum anderen der Schutz vor Diskriminierung wegen einer Behinderung in einer solchen Situation in Einklang gebracht werden kann.
Das EuGH urteilte, dass der Wunsch eines Menschen mit Behinderung nach einer Assistentin einer bestimmten Altersgruppe geeignet ist, die Achtung seines Selbstbestimmungsrechts zu fördern. Die deutschen Rechtsvorschriften legen ausdrücklich fest, den Wünschen von Menschen mit Behinderung bei der Auswahl ihrer persönlichen Assistenz zu entsprechen. Folglich sollten die Betroffenen in der Lage sein, selbst zu entscheiden, wie, wo und mit wem sie leben möchten. Es ist daher anzunehmen, dass sich eine persönliche Assistenz, welche derselben Altersgruppe angehört, leichter in das persönliche, soziale und akademische Umfeld einfügen kann. Eine Festlegung der Altersanforderung kann demnach mit Blick auf den Schutz des Rechts auf Selbstbestimmung des betreffenden Menschen mit Behinderung notwendig und gerechtfertigt sein.
Quelle:
Pressemitteilung des BAG zur Entscheidung 8 AZR 208/21 (A) vom 24.02.2022
Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes Nr. 187/23 vom 07.12.2023
Stand der Informationen: Februar 2024
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