Frei ist frei – da hat der Chef auch nichts zu melden … oder etwa doch? Das BAG hat nun entschieden, dass Beschäftigte auch in ihrer Freizeit dazu verpflichtet sein können, Mitteilungen der Arbeitgeberin/des Arbeitgebers zu lesen. Dies gilt insbesondere dann, wenn betriebliche Regelungen vorsehen, dass auf diesem Weg kommuniziert wird, wann und wo der Dienst am nächsten Tag stattfindet.
Betriebsvereinbarung zu Dienstplan und Springerdienst
Im zugrunde liegenden Fall bestand bei einer Arbeitgeberin, die in fünf Kreisen den Rettungsdienst durchführt, seit der Coronapandemie eine Betriebsvereinbarung zu Soll- und Ist-Dienstplänen sowie zu Springerdiensten. Darin wurde vereinbart, dass die Arbeitgeberin bis 20 Uhr des Vortages die Möglichkeit hat, unkonkrete Springerdienste zu konkretisieren. Ist dies nicht geschehen, können Beschäftigte, welche zum Springerdienst eingeteilt wurden, bis 7.30 Uhr am Arbeitstag ihre Einsatzfähigkeit telefonisch mitteilen. Bei Nichtinanspruchnahme erhielten die Beschäftigten dann eine Zeitgutschrift in Höhe des Springerdienstes.
Arbeitnehmer „ignoriert“ Mitteilungen der Arbeitgeberin
Der Kläger wurde in zwei Fällen am Vortag von der Arbeitgeberin im Frei kontaktiert, um den jeweiligen Dienstbeginn auf 6.00 Uhr bzw. 6.30 Uhr festzulegen. Doch da die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer telefonisch nicht erreichen konnte, wurde der Dienstbeginn ersatzweise mittels SMS mitgeteilt. Beide Nachrichten wurden vor 20 Uhr zugestellt, aber nicht vom Arbeitnehmer zur Kenntnis genommen. Er meldete sich an den Folgetagen 7.30 Uhr telefonisch, konnte aber nur an einem der beiden Dienste zum Teil eingeteilt werden. Daraufhin zog die Arbeitgeberin die betreffenden Arbeitsstunden der entfallenen Dienstzeit vom Arbeitszeitkonto ab und sprach eine Abmahnung aus.
Klage auf Zeitgutschrift und Entfernung der Abmahnung aus Personalakte
Hiergegen richtete sich die Klage. Der Arbeitnehmer forderte eine Wiedergutschrift der abgezogenen Arbeitsstunden und die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Die Beklagte beantragte Klageabweisung. Nach Ansicht der Arbeitgeberin ist der Arbeitnehmer dazu verpflichtet, sich über seine Dienstzeiten zu informieren, ihn treffe eine vertragliche Nebenpflicht. Auch sei die Zeit, die er zur Information benötige, nicht als Arbeitszeit zu werten.
Erstinstanzlich wurde die Klage durch das Arbeitsgericht Elmshorn abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein gab dem Kläger in Teilen Recht. Dagegen legte die Arbeitgeberin Revision ein und forderte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
BAG entscheidet zu Gunsten der Arbeitgeberin
Der 5. Senat am Bundesarbeitsgericht entschied nun, dass die Abmahnung und die abgezogenen Arbeitsstunden rechtens sind.
Die Richter urteilten, dass sich die Arbeitgeberin an den genannten Tagen nicht im Annahmeverzug nach § 293 BGB befand. Der Kläger hat die geschuldete Arbeitsleistung nicht wie erforderlich ordnungsgemäß angeboten.
„Der Arbeitnehmer muss die Arbeitsleistung so anbieten, wie sie zu bewirken ist, also am rechten Ort, zur rechten Zeit und in der rechten Art und Weise entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen bzw. deren Konkretisierung kraft Weisung nach § 106 Satz 1 GewO.“
So war der Anruf 7.30 Uhr auf der Wache nicht das tatsächlich erforderliche Angebot der Arbeitsleistung. Der Kläger hätte 6.00 Uhr bzw. 6.30 Uhr persönlich vor Ort erscheinen müssen, so wie es die Arbeitgeberin ordnungsgemäß aufgrund bestehender Betriebsvereinbarung am Tag zuvor konkretisiert und eine entsprechende Weisung erteilt hatte. Es ist somit keine Korrektur des Arbeitszeitkontos notwendig.
Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht
Nach Ansicht der Richter lässt sich aus § 241 Abs. 2 BGB eine Nebenpflicht ableiten, wonach beide Vertragsparteien dazu verpflichtet sind „die Voraussetzungen für die Durchführung des Vertrages zu schaffen, Erfüllungshindernisse nicht entstehen zu lassen oder zu beseitigen …“ Diese Pflicht bestand im konkreten Fall darin, die in der Betriebsvereinbarung geregelte Anweisung zur Konkretisierung eines unspezifischen Springerdienstes entgegenzunehmen. Dem Kläger war bekannt, dass die Konkretisierung des Springerdienstes bis 20 Uhr des Vortages erfolgt. „Daraus folgt die Pflicht, Mitteilungen von Seiten der Beklagten zur Kenntnis zu nehmen.“ Da eine Mitteilung bis spätestens 20 Uhr des Vortages erfolgen muss, hätte es zur Erfüllung der geschuldeten Mitwirkungspflicht ausgereicht, das Mobiltelefon nach diesem Zeitpunkt zu überprüfen.
Von einer erheblichen Einschränkung des Arbeitnehmers in seiner Freizeitgestaltung und der Entfaltung seiner Interessen könne daher nicht gesprochen werden. Der Arbeitnehmer habe nicht den ganzen Tag auf sein Mobiltelefon schauen müssen, um die Nachricht entgegenzunehmen. Es habe auch keine Rufbereitschaft und keine Verpflichtung zur Kommunikation mit der Arbeitgeberin bestanden.
Die Frage, ob die Pflicht zur Kenntnisnahme von Weisungen dazu führt, dass diese Zeit als Arbeitszeit zu werten ist, verneinten die Richter für den konkreten Fall.
Bedeutung des Urteils für die Praxis
Auf die Frage, ob Beschäftigte zwingend auch in der Freizeit für Arbeitgebende erreichbar sein müssen, kann dieses Urteil für mehr Klarheit sorgen. Denn es hilft dabei zu verstehen, in welchem Fall eine solche Pflicht tatsächlich bestehen kann. Um das noch etwas übersichtlicher darzustellen, haben wir anhand des Urteils eine beschreibende Grafik erstellt, die im dazugehörigen Thema des Monats kostenfrei als Download zur Verfügung steht: Zum Beitrag.
Quelle: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.08.2023, 5 AZR 349/22
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