Mehrjährige Arbeitsunfähigkeit – und was passiert mit dem Urlaubsanspruch

Mehrjährige Arbeitsunfähigkeit – und was passiert mit dem Urlaubsanspruch?

Hinweispflicht des Arbeitgebers vs. Verfall des Urlaubsanspruches bei langer Krankheit

Sind Arbeitnehmer:innen langfristig krank, so entspricht es der gängigen Rechtsprechung, dass der Urlaubsanspruch nicht mit dem 31.12. des aktuellen Jahres bzw. dem 31.03 des Folgejahres erlischt, sondern erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres. Dies ist auf eine grundlegende Entscheidung des EuGH von 2011 (C-214/10) zurückzuführen, welcher sich das BAG mit seinem Urteil vom 07.08.2021 (9 AZR 353/10) anschloss.

Doch was geschieht mit dem Urlaubsanspruch, wenn Arbeitnehmer:innen über diese Zeit hinaus erkrankt sind? Diese Frage hatte nun das Landesarbeitsgericht Hamm zu klären.

Trotz Arbeitsunfähigkeit – Forderung nach Urlaubsabgeltung


Der Kläger, ehemals Beschäftigter einer Gebäudereinigungsfirma (Beklagte), erlitt eine schwere Nervenschädigung der linken Hand, woraufhin er seit 2010 arbeitsunfähig war. Durch verschiedene Fortbildungen, Praktika und einem Integrationslehrgang versuchte er andere Arbeitsmöglichkeiten zu finden. Seit dem 01.10.2017 befand sich der Kläger dann wieder in einem Beschäftigungsverhältnis bei den A-Werkstätten. Mit Schreiben vom 31.01.2018 teilte die Beklagte mit, dass das Arbeitsverhältnis zum 10.04.2014 beendet wurde. Doch der Kläger forderte nun die Abgeltung von je 30 Urlaubstagen für 2016/2017. Er behauptet, durchgängig arbeitsunfähig gewesen zu sein. Um eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe er bis 2020 nie gebeten.

Trotz Hinweispflicht verfällt der Urlaub mit Ablauf der 15 Monate


Die Richter des LAG Hamm lehnten diese Forderung jedoch ab. Da der Kläger durchgehend arbeitsunfähig war, kommt es auch nicht darauf an, ob der Arbeitgeber eventuell seiner Hinweispflicht nicht nachgekommen ist, den Arbeitnehmer auf den möglichen Verfall seines Urlaubsanspruches hinzuweisen. Der Kläger war durch die andauernde Arbeitsunfähigkeit nicht in der Lage, diesen Urlaub durch Freistellung in natura zu erfüllen. Daran ändern auch die Weiterbildungsmaßnahmen bei anderen Betrieben nichts. Die Hinweispflicht dient lediglich dazu, dem Arbeitnehmer die tatsächliche Verwirklichung des Urlaubsanspruches zu ermöglichen. Eine Verpflichtung, dem Arbeitnehmer einen Abgeltungsanspruch zu ermöglichen, ergibt sich für die Richter des LAG hier nicht.

Revision zugelassen – BAG zu Mitwirkungspflicht


Das Urteil ist aber zur Revision zugelassen. Denn bisher hat sich das BAG noch nicht dazu geäußert, wie sich eine fehlende Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers im Fall einer mehrjährigen Erkrankung des Arbeitnehmers auswirkt. Das Urteil hierzu (9 AZR 107/20) wird also mit Spannung erwartet.

 

Quelle: LAG Hamm, 17.02.2022, 5 Sa 872/21