Verjährung der Urlaubsansprüche & Hinweispflicht der Arbeitgebenden
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Verjährung der Urlaubsansprüche & Hinweispflicht der Arbeitgebenden

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes

Wenn Arbeitnehmende aus betrieblichen Gründen nicht in der Lage sind, ihren Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr ganz oder teilweise zu nehmen, so muss dieser nach Regelung des § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz in den ersten drei Monaten des Folgejahres gewährt und genommen werden. Arbeitnehmende haben außerdem die Möglichkeit, eine Übertragung des Teilurlaubs auf das nächste Kalenderjahr zu beantragen, wenn dies auch hier dringende berufliche oder in der Person des Arbeitnehmenden liegende Gründe rechtfertigen. Doch wie lange ist dann dieser Anspruch geltend? Unterliegt er vielleicht sogar der Verjährung nach § 194 Abs. 1, § 195 BGB? Und hat der Arbeitgeber hierbei eine Hinweispflicht?

Diese Fragen ergaben sich für den Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) auf Grundlage des vorliegenden Falles.

Was war geschehen?


Die Klägerin war bei der Beklagten als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin beschäftigt. Ihr Urlaubsanspruch belief sich auf 24 Arbeitstage. Am 1. März 2012 erhielt die Klägerin von der Beklagten die Bescheinigung, dass der Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus den Kalenderjahren 2011 und den Vorjahren nicht zum 31.03.2012 verfalle. Als Begründung wurde der hohe Arbeitsaufwand in der Kanzlei benannt. Auch in den Folgejahren 2012 bis 2017 gewährte die Arbeitgeberin nur 95 Urlaubstage.

Mit ihrer Klage vom Februar 2018 forderte die Klägerin die Abgeltung von insgesamt 101 Urlaubstagen für die Jahre 2017 und Vorjahre. Die Arbeitgeberin sah hierbei jedoch eine Verjährung nach § 195 BGB. Danach seien die Urlaubsansprüche aufgrund der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelaufen.

Das Landesarbeitsgericht entschied zu Gunsten der Klägerin und verurteilte die Beklagte zur Abgeltung von 76 Urlaubstagen aus den Jahren 2013 bis 2016. Die dagegen gerichtete Revision vor dem BAG führte nun zur aktuellen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH).

Revision der Arbeitgeberin wirft Fragen auf


Für den Neunten Senat des BAG stellt sich nun die Frage, ob die Urlaubsansprüche aus den Jahren 2014 und davor bei Klageerhebung bereits verjährt waren.

Ein Verfall der Ansprüche ergab sich gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG nicht. Nur wenn die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin konkret aufgefordert hätte, den Urlaub rechtzeitig im Urlaubsjahr zu nehmen und auch auf den sonstigen Verfall hingewiesen hätte, wäre der Anspruch erloschen. (Vgl. hierzu unseren Artikel „Verfall von Urlaubsansprüchen“ inkl. Musteraushang).

Auf Basis dieser damaligen Entscheidung des EuGH rief der Senat den Gerichtshof der Europäischen Union erneut an. Diesmal sollte geklärt werden, inwieweit Arbeitgebende eine Hinweispflicht bei einer möglichen Verjährung der Urlaubsansprüche hätten. Konkret forderten sie eine Vorabentscheidung zur Frage, „ob es mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG* und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundreche der Europäischen Union** im Einklang steht, wenn der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der aufgrund unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers nicht bereits nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen konnte, gemäß § 194 Abs. 1, § 195 BGB der Verjährung unterliegt.“ (Pressemitteilung des BAG vom 29.09.2020).

Arbeitgebende sollen für Pflichtverletzung nicht belohnt werden


Der Generalanwalt (Anmerkung d. Redaktion: Generalanwälte unterstützen die Richter des EuGH bei ihrer Entscheidungsfindung.) sah bei seinem Entscheidungsvorschlag hinsichtlich einer Verjährung die Arbeitgebenden in der Pflicht. Diese müssten im Vorfeld die Arbeitnehmenden über ihre Rechte aufklären. Kommen Arbeitgebende ihren Informationspflichten nicht nach, dürfen sie, nach Ansicht des Generalanwalts, nicht auch noch durch das erfolgreiche Berufen auf Verjährung „belohnt“ werden.

EuGH folgt den Aussagen des Generalanwaltes


Das EuGH folgt diesen Aussagen. Zwar sehen es die Richter des EuGH als richtig an, dass Arbeitgebende ein berechtigtes Interesse daran haben, „nicht mit Anträgen auf Urlaub oder finanzieller Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub konfrontiert werden zu müssen, die auf mehr als drei Jahre vor Antragstellung erworbene Ansprüche gestützt werden". Doch sei dieses Interesse nicht mehr berechtigt, wenn die Arbeitgebenden schlichtweg versäumt haben, ihre Arbeitnehmenden über den drohenden Urlaubsverfall vorab zu informieren. Denn dann haben sie sich selbst in die Situation gebracht, in der sie mit solchen Anträgen konfrontiert werden und könnten zudem auf Kosten der Arbeitnehmenden Nutzen daraus ziehen. Aus diesem Grund stehe das deutsche Verjährungsrecht den Vorgaben der Arbeitszeitrichtlinie entgegen, wenn es dadurch zum Urlaubsverfall bei nicht aufgeklärten Arbeitnehmenden kommt.

Wie genau die Richter des Neunten Senats des BAG nun im vorliegenden Fall entscheiden, ist noch nicht abzusehen. Wir werden darüber berichten!

 

* Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG: Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jeder Arbeitnehmende einen bezahlten Mindesturlaub von 4 Wochen pro Jahr erhält.

** Art. 31 Abs. 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union: Rechte der Arbeitnehmenden auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit, der täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub

 

Quelle: EuGH, 22.09.2022, C-120/21 LB