Kündigungsverbot in der Schwangerschaft
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Kündigungsverbot in der Schwangerschaft

Welcher Stichtag ist relevant und ab wann gilt der Kündigungsschutz?

Wie lange dauert eine Schwangerschaft? Gemessen an den Tagen bis zur Entbindung gibt es hierbei zwei mögliche Zählweisen. Es kommt darauf an, ob der Zeitpunkt des Zyklusbeginns oder der Zeitpunkt der Empfängnis als Starttermin angesehen wird. So kann mit einer mittleren Schwangerschaftsdauer von 280 bzw. 266 Tagen gerechnet werden. Und genau dieser Unterschied ist nun in der aktuellen Entscheidung des BAG in Verbindung mit § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG zum Tragen gekommen.

Kündigung noch vor der Schwangerschaft?


Im zu verhandelnden Fall hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis (bestehend seit 15.10.2020) mit der Klägerin am 06.11.2020 ordentlich gekündigt. Zum 12.11.2020 ging beim Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage ein. Darin bestritt die Klägerin u. a. die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates. Mit einem weiteren Schreiben, welches ca. 3 Wochen später beim Arbeitsgericht einging, teilte die Klägerin mit, dass sie sich bereits in der 6. Schwangerschaftswoche befindet. Gleichzeitig wurde die Arbeitgeberin über die Schwangerschaft informiert. Eine Schwangerschaftsbestätigung der Frauenärztin vom 26.11.2020 lag dem Schreiben bei. Der voraussichtliche Geburtstermin wurde während des erstinstanzlichen Verfahrens mit dem 05.08.2021 angegeben.

Somit hielt die Klägerin die Kündigung aufgrund eines Kündigungsverbotes nach § 17 Abs. 1 MuSchG für unwirksam. Zum Zeitpunkt des Kündigungszuganges sei sie bereits schwanger gewesen. Sie habe allerdings erst am 26.11.2020 sicher Kenntnis erhalten. Die verspätete Mitteilung an die Beklagte sei unverschuldet und unverzüglich nach Kenntnis erfolgt.

Nach § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MuSchG ist eine Kündigung einer Frau während der Schwangerschaft unzulässig, wenn den Arbeitgebenden zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt ist, oder sie innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung darüber Kenntnis erhalten. Beruht die Überschreitung der Zweiwochenfrist auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund und wird die Mitteilung unverzüglich nachgeholt, so ist diese unschädlich.

LAG legt Dauer einer Schwangerschaft auf 266 Tage fest


Erstinstanzlich wurde die Klage aber abgewiesen. Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichtes Baden-Württemberg sei die Kündigung bereits vor der Schwangerschaft erfolgt. Der voraussichtliche Entbindungstermin könne nur 266 zurückgerechnet werden. Eine Annahme von 280 Tagen, wie vom BAG bisher angewandt, sei bei einem natürlichen Schwangerschaftsverlauf nicht richtig. Dennoch wurde die Revision zum BAG zugelassen.

BAG sieht äußerste zeitliche Grenze zum Schutz der Schwangeren von 280 Tagen


Das BAG verwies die Sache zurück an das LAG. Als Begründung führten die Richter des BAG an: „Nach der Senatsrechtsprechung wird der Beginn des Kündigungsverbots aus § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG bei natürlicher Empfängnis in entsprechender Anwendung von § 15 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 MuSchG in der Weise bestimmt, dass von dem ärztlich festgestellten mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage zurückgerechnet wird.“ Dieser Zeitraum umfasst die mittlere Schwangerschaftsdauer und markiert die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb derer bei normalem Zyklus eine Schwangerschaft vorliegen kann. Dies steht im Einklang mit dem Unionsrecht. Das in Art. 10 Nr. 1 Mutterschutzrichtline genannte Kündigungsverbot soll verhindern, dass sich eine Kündigung der Schwangeren negativ auf ihre physische und psychische Verfassung auswirken kann. Daher sei vom frühestmöglichen Zeitpunkt des Vorliegens einer Schwangerschaft auszugehen. Bei Berechnungen des Geburtstermins können sich Ungenauigkeiten und Abweichungen ergeben. Deshalb ist zunächst immer von der für die Arbeitnehmerin günstigsten Berechnungsmethode auszugehen. Alles andere wäre nicht mit dem umfassenden Schutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen zu vereinbaren.

Nun muss das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg erneut prüfen, ob die Arbeitnehmerin die Schwangerschaftsmitteilung nach § 17 Abs. 1 Satz 2 MuSchG unverschuldet versäumt hat. Sollte die Klägerin von ihrer Schwangerschaft erst am 26.11.2020 Kenntnis erlangt haben, ohne dass vorherige Anzeichen bestanden, so wäre ein unverzügliches Nachholen der Schwangerschaftsmitteilung im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 2 MuSchG möglich gewesen.

 

Quelle: BAG, 24.11.2022, 2 AZR 11/22

Stand der Informationen: Februar 2023