Referentenentwurf zum Betriebsrätestärkungsgesetz

Referentenentwurf Betriebsrätestärkungsgesetz

Wie stehen die Chancen, dass dieser Entwurf umgesetzt wird? Eine Einschätzung

Die große Koalition aus CDU/CSU und SPD hat 2018 in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, die Gründung und Wahl von Betriebsräten zu erleichtern. Nun liegt ein Referentenentwurf zu diesem Betriebsrätestärkungsgesetz vor. Wir haben uns damit beschäftigt und erklären kurz die Zusammenhänge.

Sinkende Zahl der Betriebsräte in deutschen Betrieben


 

Statistik zur Verteilung der Betriebe mit Betriebsrat Quelle stefan-sell.de

Statistik zur Verteilung der Betriebe mit Betriebsrat – Quelle: stefan-sell.de

Die Anzahl der Betriebe mit einem Betriebsrat stagniert seit 25 Jahren auf niedrigem Niveau bei etwa 10 %. Da überwiegend in großen Betrieben Betriebsräte bestehen, sieht die Situation für die Beschäftigten in absoluten Zahlen etwas besser aus: 41 % der westdeutschen Beschäftigten, aber nur 36 % der ostdeutschen Beschäftigten wurden 2019 in ihrem Betrieb von einem Betriebsrat vertreten. Das ist ein Rückgang zwischen 12 % für Ostdeutschland und 21 % für Westdeutschland seit 1996, wobei die Zahl in Ostdeutschland seit 2017 wieder ansteigt.

Zudem berichten Gewerkschaften immer wieder von Repressalien und Versuchen, Betriebsratsneuwahlen zu verhindern. Ähnliches findet eine aktuelle Studie der TU Chemnitz mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung heraus, die zeigt, dass es immer wieder zu arbeitgeberseitigen Maßnahmen gegen engagierte und in Betriebsräten organisierte Beschäftigte kommt.

Das Betriebsrätestärkungsgesetz – die Inhalte


Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat Ende 2020 den Entwurf für ein Betriebsrätestärkungsgesetz vorgelegt, das diesen Trend wieder umkehren soll.

Ein wichtiges Element ist ein verbesserter Kündigungsschutz für Beschäftigte, die zu einer Betriebsratswahl einladen, wobei auch die Zahl der geschützten Einladenden von drei auf Sechs erhöht wird. Auch der Wahlablauf soll vereinfacht und die Anfechtbarkeit der Wahl eingeschränkt werden.

Aber der Entwurf will auch die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Betriebsräte bei Weiterbildungen verbessern und ihnen bei der Digitalisierung der Arbeitswelt (z. B. Einführung von Telearbeit – landläufig Homeoffice genannt) mehr Mitsprachemöglichkeiten einräumen. Mit der geplanten Regelung zur Ausgestaltung Mobiler Arbeit hätten Betriebsräte dann ein Mitbestimmungsrecht beim Arbeitsort.

Ein weiterer Punkt betrifft Mitbestimmungen bei Systemen mit künstlicher Intelligenz, hier sollen Betriebsräte eine einfache Möglichkeit bekommen, Sachverständige hinzuzuziehen.

Die mit der Corona-Pandemie eingeführte Möglichkeit, Sitzungen als Tele- oder Videokonferenz abzuhalten (§ 129 BetrVG), soll beibehalten werden, der Betriebsrat kann diese Möglichkeit in seiner Geschäftsordnung weiter ausgestalten.

Auch hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten durch den Betriebsrat im Rahmen seiner Aufgaben soll klargestellt werden, dass der Arbeitgeber die verantwortliche Stelle im Sinne der datenschutzrechtlichen Vorschriften ist.

Wie Gewerkschaften reagieren


Das Betriebsrätestärkungsgesetz wird von ver.di ausdrücklich begrüßt, in Kenntnis um die üblichen Änderungen im Entwurf im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses warnt ver.di-Chef Wernecke aber gleichzeitig vor möglichen Verwässerungen und betont, dass BR-Sabotage „endlich ein Riegel vorgeschoben werden müsse“.

(Quelle: www.jungewelt.de)

Andere Gewerkschaften wie die IG Metall sehen den Entwurf kritischer, ihre Vorsitzende Christine Brenner verlangt, dass eine „notwendige, umfassende Reform … aber weit darüber hinausgehen“ muss. Deshalb werde die IGM im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 ihre „Initiative Mitbestimmung“ starten.

IG-BCE-Vorstandsmitglied Karin Erhard kritisiert via Twitter, dass Union Busting („Zerstörung von Gewerkschaften/AN-Vertretungen“) kein Einzelphänomen sei: „In 30 Prozent der Betriebsratswahlen in unseren Branchen gab es Behinderungen. Die Staatsanwaltschaften stellen bei Klagen die Verfahren schnell ein. Das geht so nicht“. (Quelle: www.jungewelt.de)

Konfliktpotential des Gesetzentwurfes


Besonders die Regelung zur Mitbestimmung beim Arbeitsort für die geplante Klausel zu Telearbeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 14) wird es wohl schwer haben, denn eine gleichlautende Formulierung war im Mobile-Arbeit-Gesetz im Oktober vorgesehen und nach heftiger Kritik von CDU/CSU und insbesondere seitens der Bundeskanzlerin Frau Merkel aus dem Entwurf gestrichen worden. Es bleibt abzuwarten, ob sich Arbeitsminister Heil dieses Mal durchsetzen kann, denn das Kanzleramt besteht bei dieser Regelung im neuen Entwurf auch wieder auf einer Streichung. CDU/CSU ziehen sich darauf zurück, dass davon nichts im Koalitionsvertrag stehe.

Im BMAS-Entwurf wird ausdrücklich vor der Gefahr einer Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben gewarnt. Um das zu erreichen, scheint ihm ein starkes Mitbestimmungsrecht unerlässlich (Quelle: www.lto.de).

Die Arbeitgeberseite beginnt bereits, sich auf einige Regelungen einzuschießen, z. B. beim besonderen Kündigungsschutz und hinsichtlich der Hinzuziehung von Sachverständigen beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz sowie Informations- und Kommunikationstechnik im Betrieb. Hier behauptet man erhebliche Missbrauchspielräume. Die geplante Einführung eines Mitbestimmungsrechts bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit wird ebenfalls äußerst kritisch gesehen.

(Quelle: www.lto.de)

Auch unter Arbeitsrechtlern gehen die Meinungen zum Entwurf ziemlich auseinander, dabei scheint es für die Meinungsbildung eine Rolle zu spielen, ob die Mandantschaft eher im Arbeitgeber- oder im Arbeitnehmerlager zu suchen ist.

Unsere Einschätzung


Eigentlich könnte es ganz einfach sein: § 1 Abs. 1 des BetrVG ordnet an: „In Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, werden Betriebsräte gewählt.“ Das ist keine Kann-Vorschrift, sondern der Regelfall.

Stattdessen wird immer noch gerne weggesehen, wenn Arbeitgeber mit teils drastischen Mitteln – wie das BMAS selbst zugibt – Betriebsratswahlen behindern oder gar verhindern.

Auch im Wahljahr 2022 wird daraus wohl keine zwingende Vorschrift werden.

 

Den kompletten Referentenentwurf lesen Sie hier: PDF Referentenentwurf