Wird einem Arbeitnehmenden wegen eines mutmaßlichen Arbeitszeitbetruges fristlos gekündigt, so gilt für Videoaufnahmen ein sogenanntes Beweisverwertungsverbot. Auch sind Kameras am Eingang des Betriebsgeländes zur Arbeitszeitkontrolle „in der Regel weder geeignet noch erforderlich“. So urteilte das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) in seiner Entscheidung vom Juli 2022 (8 Sa 1148/20).
Mehrmaliger mutmaßlicher Arbeitszeitbetrug durch Arbeitnehmende
Im zugrundeliegenden Fall wurden, aufgrund eines anonymen Hinweisgebersystems, mehrere Mitarbeitende des Arbeitszeitbetruges beschuldigt. Darunter auch der Kläger, welcher zum einen unberechtigt einen Kollegen eingestempelt, zum anderen selbst eine Nachtschicht geschwänzt und mehrfach unerlaubt vor Schichtende das Werksgelände verlassen habe. Im Betrieb existiert ein Betriebsrat.
Außerordentliche Kündigung nicht rechtens
Die darauffolgende außerordentliche fristlose Kündigung wurde durch eine Kündigungsschutzklage sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem LAG erfolgreich abgewehrt.
Zur Begründung führten die Arbeitsrichter an, dass „die behaupteten Pflichtwidrigkeiten des Klägers nicht erwiesen sind und auch kein hinreichend dringender Verdacht für ihre Begehung durch den Kläger besteht.“ Zwar kann, gemäß § 626 Abs. 1 BGB ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Dafür müssen aber Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgebenden „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann“.
Datenauswertung per Betriebsvereinbarung ausgeschlossen
Als Beweis hatte das Unternehmen zum einen die sogenannten Logfiles des Kartenlesers zur elektronischen Anwesenheitserfassung am Werkstor vorgelegt. Doch diese konnten im Prozess selbst nicht als Nachweis für den Arbeitszeitbetrug zugelassen werden, da eine geltende Betriebsvereinbarung die Auswertung dieser Daten ausgeschlossen hatte.
Beweisverwertungsverbot von Videoaufzeichnungen
Zum anderen sollten die Daten der Videoüberwachungsanlage am Werktor die Pflichtverletzungen dokumentieren. Doch auch dieses Bildmaterial ist nach Ansicht der Richter nicht zu verwerten. Das Unternehmen selbst hatte auf Hinweistafeln vermerkt, dass Videoaufzeichnungen nach 96 Stunden gelöscht werden. Eine Verwertung wäre ein eklatanter Verstoß gegen die Regelungen im Betriebskonzept.
Außerdem unterliege die Videoaufzeichnung einem Beweisverwertungsverbot und ist nicht nur gegenüber anderen Beschäftigten rechtswidrig, sondern verletze in erheblich sachlicher und zeitlicher Weise das Persönlichkeitsrecht (Art. 1 GG) des Klägers. Eine gerichtliche Verwertung würde einen erneuten ungerechtfertigten Grundrechtseingriff darstellen.
Eine Revision wurde zugelassen.
Quelle: LAG Niedersachsen, Urteil vom 06.07.2022, 8 Sa 1148/20