Mindesthaltbarkeitsdatum

Betriebliches Eingliederungsmanagement – kein „Mindesthaltbarkeitsdatum“

Durchführung eines weiteren BEM bei erneuter langfristiger Erkrankung auch vor Ablauf eines Jahres möglich

Bei personenbedingten Kündigungen, aufgrund von häufiger Krankheit, besteht eine Nachweispflicht des Arbeitgebers, dass alles Mögliche für die Erhaltung des Arbeitsplatzes getan wurde. So will es das Gesetz. Dieser Nachweis kann aus einem ordnungsgemäß durchgeführten BEM (betriebliches Eingliederungsmanagement) hervorgehen.

Was ist ein BEM?


Der Arbeitgeber ist nach § 167 SGB IX gesetzlich dazu verpflichtet, bei Beschäftigten, die länger als 6 Wochen ununterbrochen bzw. 6 Wochen im Laufe eines Jahres erkrankt sind, ein sogenanntes Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen. Ziel dieses BEM ist zum einen, die Arbeitsunfähigkeit möglichst frühzeitig zu überwinden und zum anderen, krankmachende Faktoren der Arbeit zu erkennen und zu beheben.

Ist ein Arbeitnehmer nach Abschluss des ersten BEM innerhalb eines Jahres erneut für länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, so muss der Arbeitgeber auf Grundlage des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX erneut ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchführen. Zu diesem Urteil kamen die Richter des LAG Düsseldorf.

Personenbedingte Kündigung aufgrund häufiger Krankheit


Der Kläger im zugrundeliegenden Fall war zuletzt als Produktionshelfer bei der Beklagten beschäftigt. Außerdem war er als Betriebsratsmitglied tätig. Es liegt ein Grad der Behinderung von 20 vor. Seit dem Jahr 2010 erkrankte der Arbeitnehmer immer wieder für längere Zeiträume.

Aufgrund der Schließung eines externen Betriebes mit 60 Mitarbeitern wurde 2015 auch gegenüber dem Kläger eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen. Diese war aber, aufgrund des Sonderkündigungsschutzes als Betriebsrat, unwirksam. 2016 kündigte die Beklagte erneut – diesmal außerordentlich krankheitsbedingt mit Auslauffrist zum 31.03.2017. Eine dagegen gerichtete Kündigungsschutzklage hatte Erfolg.

In den darauffolgenden Jahren kam es immer wieder zu längeren krankheitsbedingten Fehlzeiten. 2019 erfolgte die Durchführung eines BEM mit dem Schluss, dass das ständige Arbeiten im Durchzug den Arbeitnehmer immer wieder erkranken lässt und auch das Heben von Lasten zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes führt. 2019 und 2020 folgten mehrmalige ordnungsgemäße Kündigungsversuche mit Zustimmung des Betriebsrates.

Gegen die letzte ordentliche Kündigung vom 26.02.2020 hat sich der Kläger mit einer Klage gewandt. Seiner Meinung nach dürfen die Krankheitszeiten von 2010 bis 2016 nicht für eine negative Gesundheitsprognose herangezogen werden. Die weiteren Erkrankungen seien ausgeheilt. Die weiterhin bestehende Zugluft am Arbeitsplatz führe zu häufig auftretenden Infektionen der oberen Atemwege. Das 2019 durchgeführte BEM genügt nicht, um eine Kündigung zu rechtfertigen. Seiner Ansicht nach, hätte nach dem letzten längeren Krankheitszeitraum ein erneutes BEM durchgeführt werden müssen, dessen Gesundheitsprognose eine krankheitsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen würde.

BEM auch mehrmals im Kalenderjahr möglich


Die Richter urteilten „…die auf häufige Kurzerkrankungen des Klägers gestützte Kündigung ist rechtsunwirksam, weil sie nicht gemäß § 1 Abs. 1, 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist. Es liegen keine Gründe in der Person des Klägers vor, die seiner Weiterbeschäftigung i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG entgegenstehen…“.

Der Arbeitgeber trägt bei einer Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast. Es ist also unter Umständen notwendig, alle alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten für den Arbeitnehmer in einem BEM zu prüfen. Ist dieses BEM unterlassen worden, muss auch hier der Arbeitgeber nachweisen, dass die Durchführung eines BEM, aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen des Arbeitnehmers, zu keinem positiven Ergebnis geführt hätte.

Die Ansicht der Beklagten, dass das durchgeführte BEM von 2019 für solch eine Prognose ausreiche, teilte das Gericht nicht. Der Kläger war nach Abschluss des betrieblichen Eingliederungsmanagements erneut länger als sechs Wochen wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. Somit war die Beklagte in der Pflicht, gemäß §167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, erneut ein BEM durchzuführen.

Daher begründen die Richter: „In Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze, muss der Arbeitgeber gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX nach einem durchgeführten BEM erneut ein BEM durchführen, wenn der Arbeitnehmer nach Abschluss des ersten BEM innerhalb eines Jahres erneut länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig wird. Der Abschluss eines BEM ist dabei der Tag „Null“ für einen neuen Referenzzeitraum von einem Jahr (…). Ein „Mindesthaltbarkeitsdatum“ hat ein BEM nicht. Es ist erneut durchzuführen, wenn der Beschäftigte nach Abschluss des BEM bzw. der Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen wieder länger als sechs Wochen arbeitsunfähig war (…). Eine Begrenzung der rechtlichen Verpflichtung auf eine nur einmalige Durchführung des BEM im Jahreszeitraum des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. (…)“

Quelle: LAG Düsseldorf, Urteil vom 09.12.2020, 12 Sa 554/20