In einem aktuellen Urteil hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass Schichtarbeitende für Nachtarbeit nicht schlechter gestellt werden dürfen als Beschäftigte, die außerhalb eines Schichtsystems nachts arbeiten. Das Gericht hob damit eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (5 Sa 4/20, Urteil vom 06.10.2020) auf und entschied zugunsten eines Beschäftigten, der zusätzliche Zuschläge für seine Nachtschichten einforderte.
Hintergrund: Streit um Nachtarbeitszuschläge im Tarifvertrag
Der Kläger arbeitete im Werk einer Kaffeekapselproduktion in Mecklenburg-Vorpommern im Wechselschichtsystem. Es gilt der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie in Mecklenburg-Vorpommern vom 2. Juni 2009 (MTV). In der Zeit November 2018 bis April 2019 verrichtete der Kläger Nachtarbeit in Wechselschicht zwischen 22:00 bis 06:00 Uhr. Dafür erhielt er einen Zuschlag von 25 %.
Beschäftigte, die außerhalb des Schichtsystems Nachtarbeit leisteten, bekamen hingegen einen Zuschlag von 50 %. Der Kläger sah darin eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung und klagte auf die Differenz der Zuschläge.
Das Urteil im Detail: Kläger erfolgreich
Das LAG Mecklenburg-Vorpommern sah hier keine Ungleichbehandlung und hatte die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Revision des Klägers hatte nun teilweise Erfolg.
Das BAG gab dem Kläger überwiegend recht. Die Beklagte wurde verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum November 2018 bis April 2019 weitere Nachtarbeitszuschläge in Höhe von 918,44 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen.
Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz
Das BAG stellte klar, dass die unterschiedliche Höhe der Nachtzuschläge für Schichtarbeitende und Beschäftigte außerhalb des Schichtsystems den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Schichtarbeitende dürfen nicht schlechter behandelt werden, da die Belastungen – insbesondere gesundheitlich und sozial – in beiden Fällen vergleichbar sind.
Vergleichbare Belastungen durch Nachtarbeit
Die Richter betonten, dass sowohl die gesundheitlichen Risiken als auch die Einschränkungen des sozialen Lebens für Schichtarbeitende und Beschäftigte außerhalb des Schichtsystems gleich schwerwiegend sind. Nachtschichtarbeit führt zu denselben Einschränkungen wie unregelmäßige Nachtarbeit. Daher reiche der Zuschlag von 25 % nicht aus, um die Nachteile von Schichtarbeit in der Nacht angemessen auszugleichen.
Das Argument der Arbeitgeberseite, dass Nachtschichtarbeit planbarer sei und deswegen ein geringerer Zuschlag gerechtfertigt sei, wies das BAG zurück. Planbarkeit sei kein ausreichender Grund für eine niedrigere Vergütung, da sowohl Schichtarbeit als auch unregelmäßige Nachtarbeit planbar sein oder unvorhersehbare Elemente beinhalten könnten. Die Richter stellten klar, dass es keine sachliche Grundlage gibt, Nachtschichtarbeitende in dieser Hinsicht schlechter zu stellen.
Gesundheitsschutz als Priorität
Der gesundheitliche Schutz von Nachtarbeitenden, auch im Schichtsystem, sei ein zentrales Anliegen, betonte das Gericht. Ein Zuschlag von lediglich 25 % für Nachtschichtarbeit werde diesem Schutz nicht gerecht. Um den erhöhten gesundheitlichen und sozialen Belastungen Rechnung zu tragen, müsse auch für Schichtarbeit der höhere Zuschlag von 50 % gelten.
Fazit: Gleiche Zuschläge für alle Nachtarbeitenden
Das BAG entschied, dass die ungleiche Behandlung der Nachtarbeitenden im Tarifvertrag gegen das Gleichheitsprinzip verstößt und die Ungleichbehandlung nur durch eine „Anpassung nach oben“ beseitigt werden kann. Zukünftig müssen alle Nachtarbeitenden, ob im Schichtsystem oder nicht, den gleichen Zuschlag von 50 % erhalten. Dieses Urteil stärkt die Rechte von Schichtarbeitenden und setzt Maßstäbe für die künftige Tarifgestaltung.
Für Betriebsräte ist diese Entscheidung ein wichtiges Signal, da sie aufzeigt, dass tarifliche Regelungen, die Nachtarbeit unterschiedlich behandeln, verfassungsrechtlich bedenklich sind und gegebenenfalls angepasst werden müssen.
Quelle: BAG, Urteil vom 21.08.2024, 10 AZR 500/20
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