Nach § 98 BetrVG hat der Betriebsrat bei der Durchführung betrieblicher Berufsbildungsmaßnahmen ein Mitbestimmungsrecht. Doch der Begriff der betrieblichen Berufsbildung ist weit auszulegen. Im Sinne des § 1 Abs. 1 BBiG fallen darunter Maßnahmen der Berufsausbildung, der beruflichen Fortbildung und der beruflichen Umschulung. Dennoch kommt es immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeberseite, wie weit dieses Mitbestimmungsrecht tatsächlich reicht. So auch im zugrundeliegenden Fall.
Ein bundesweit tätiges Einzelhandelsunternehmen mit insgesamt 68 Filialen plante, Reparaturen an einzelnen Produkten künftig nicht mehr von einem externen Dienstleister durchführen zu lassen. Stattdessen plante der Arbeitgeber, dass diese Reparaturen von den eigenen Mitarbeitern intern erledigt werden („Inhousing“). Der bisherige externe Dienstleister sollte dafür freiwillige Mitarbeiter schulen. Diese Schulungen sollten in den einzelnen Filialen stattfinden.
Die Beteiligten befinden sich seit Oktober 2024 im Austausch über das beabsichtigte Inhousing. Am 27.01.2025 teilte der Arbeitgeber dem Gesamtbetriebsrat (GBR) per E-Mail mit, dass zum 26.02.2025 die Maßnahme durchgeführt werden soll. Mit Schreiben vom 13.02.2025 forderte der Gesamtbetriebsrat die Aussetzung der Schulungsmaßnahme, bis eine Einigung mit dem Gesamtbetriebsrat erzielt oder ein Einigungsstellenverfahren erfolgt ist. Er sah sein Mitbestimmungsrecht bei der beruflichen Bildung (§ 98 BetrVG) verletzt. Daraufhin bot der Arbeitgeber an, in der Woche vom 17.2. – 23.2.2025 noch einmal das Gespräch zu suchen und eine „für alle Beteiligten interessengerechte Lösung“ zu erzielen.
Arbeitgeber führt Schulung ohne Zustimmung durch
Doch in einer weiteren E-Mail vom 17.2.2025 teilte der Arbeitgeber mit, dass kurzfristig eine erste Schulung am 18.2.2025 erfolgen soll. Weitere Schulungen waren für März vorgesehen. Mit seiner einstweiligen Verfügung hat der Gesamtbetriebsrat am 27.2.2025 beantragt, dem Arbeitgeber die Durchführung weiterer Schulungen zu untersagen.
Nach der Ansicht des Gesamtbetriebsrats sind die Schulungen keine bloße Einweisung im Sinne des § 81 BetrVG, sondern eine Maßnahme der betrieblichen Fortbildung (§ 98 Abs. 1 BetrVG), da den Mitarbeitern neue Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden. Wird das daraus resultierende Mitbestimmungsrecht verletzt, steht dem Betriebsrat ein allgemeiner Unterlassungsanspruch zu. Da es sich um eine zentral geplante Maßnahme handelt, ist der Gesamtbetriebsrat zuständig.
Der Arbeitgeber hingegen sah hier keine mitbestimmungspflichtige betriebliche Fortbildung. Seiner Meinung nach handelt es sich um eine Einweisung in einfache Tätigkeiten, die keine besondere Ausbildung erfordern. Außerdem sah er keine Zuständigkeit des GBR, sondern die lokalen Betriebsräte der einzelnen Filialen seien zuständig. § 98 Abs. 1 BetrVG gibt keinen allgemeinen Unterlassungsanspruch her. Selbst wenn die Einschätzung falsch ist, handelt es sich nicht um einen "groben Verstoß" (§ 23 Abs. 3 BetrVG), da die Rechtsauffassung zumindest vertretbar sei. Der GBR habe die Eilbedürftigkeit selbst widerlegt, da er schon seit Herbst 2024 von den Plänen wusste und nicht früher gehandelt hat.
ArbG Köln bestätigt Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats
Das Arbeitsgericht Köln (ArbG) gab dem Gesamtbetriebsrat vollumfänglich Recht und erließ die einstweilige Verfügung. Nach Ansicht der Richter sind die geplanten Schulungsinhalte einheitlich und zentral geplant worden, ohne einen spezifischen Bezug zu den Einzelbetrieben. Demnach ist der GBR hier zuständig (§ 50 Abs. 1 BetrVG).
Außerdem stufen die Richter die Maßnahme klar als betriebliche Berufsbildung im Sinne von § 98 Abs. 1 BetrVG ein. Es werden neue Kenntnisse und Fähigkeiten für neue Aufgaben vermittelt. Die Schulung durch einen externen Anbieter unterstreicht diese Tatsache zudem.
Allgemeiner Unterlassungsanspruch
Das Gericht bejahte einen aus § 98 Abs. 1 BetrVG folgenden allgemeinen Unterlassungsanspruch für den GBR. Anders als in anderen Mitbestimmungsbereichen (§§ 99, 102, 111 BetrVG) sieht das Gesetz bei Verstößen gegen § 98 Abs. 1 BetrVG keine direkten Sanktionen oder speziellen Verfahren vor. Ohne einen Unterlassungsanspruch wäre das Mitbestimmungsrecht hier praktisch wertlos.
Das Gericht sah die Dringlichkeit gegeben. Der Arbeitgeber setzte eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme ohne Zustimmung oder Einigungsstellenspruch um und verletzte damit die Rechte des GBR erheblich. Die Fortsetzung der Schulungen würde das Mitbestimmungsrecht aushöhlen ("Rechtsvereitelung"). Das Gericht verneinte auch, dass der GBR die Dringlichkeit selbst widerlegt habe. Zwar wusste er länger von den Plänen, hatte aber bis kurz vor Beginn der Schulungen versucht, eine Einigung zu erzielen, worauf der Arbeitgeber sogar noch eingegangen war. Der GBR musste daher nicht sofort gerichtliche Schritte einleiten.
Quelle: ArbG Köln, Beschluss vom 04.03.2025, 13 BVGa 5/25
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