Die Wahl der Mitglieder eines Betriebsausschusses und der freizustellenden Betriebsratsmitglieder soll laut Regelungen im Betriebsverfassungsgesetz geheim und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl erfolgen. Damit soll sichergestellt werden, dass alle Gruppierungen fair im Betriebsrat vertreten werden und es zu keiner Monopolstellung einer Fraktion kommt.
Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) hatte aber einen Fall zu entscheiden, in welchem systematisch die Mitglieder einer Minderheitenliste abberufen und mit Mitgliedern der Mehrheitsliste ersetzt wurden.
Besetzung von Betriebsausschuss und Vollfreistellung
Bei der Arbeitgeberin, welche eine operative Tochtergesellschaft der D AG ist, wurde 2022 ein 17-köpfiger Betriebsrat gewählt. Darunter drei Mitglieder der Minderheitenliste S. Gemäß dem Wahlergebnis und den Regeln der Verhältniswahl (§§ 27, 38 BetrVG) stand dieser Minderheitenliste je ein Sitz im Betriebsausschuss und eine Position als voll freigestelltes Betriebsratsmitglied zu. Diese Positionen erhielt die Listenführerin, welche im Fall auch Antragstellerin ist.
Kurz nach der Wahl wurde die Abberufung der Antragstellerin aus beiden Positionen mit der nötigen 3/4-Mehrheit des Betriebsrats beschlossen. Doch auch der Nachrücker der Liste #S wurde wenige Tage später abberufen. Dessen Nachrückerin, ebenfalls Liste #S, wurde eingesetzt und nach knapp zwei Wochen ebenfalls abberufen. Somit war die Minderheitenliste erschöpft und es kam zur Neuwahl durch Mehrheitsentscheid. Die offene Position im Betriebsausschuss und die Freistellung wurden nach den Regeln der Mehrheitswahl mit Mitgliedern der Mehrheitsliste ver.di besetzt.
Die Klage richtete sich gegen die Abberufungsbeschlüsse und die anschließenden Neuwahlen. Nach Ansicht der Klägerin habe die Mehrheitsliste den gesetzlich verankerten Minderheitenschutz gezielt ausgehebelt, um die Positionen mit eigenen Leuten zu besetzen.
Minderheitenschutz wurde systematisch ausgehebelt
Das Arbeitsgericht Bonn hatte als Vorinstanz die Abberufungsbeschlüsse und die Neuwahlen für nichtig erklärt. Dagegen richtete sich nun die vor dem LAG Köln verhandelte Beschwerde der neu gewählten Mitglieder.
Doch auch die Richter des LAG bestätigten die Entscheidung des AG Bonn. Sie sahen in dem Vorgehen der Betriebsratsmehrheit eine Umgehung des Betriebsverfassungsgesetzes (§§ 27, 38 BetrVG). Zwar waren die Abberufungsbeschlüsse formal korrekt gefasst, sie dienten aber objektiv dazu, in kurzer Zeit das Ergebnis der Verhältniswahl zu kippen und den Minderheitenschutz auszuhebeln.
Die Richter betonten, dass es gerade Ziel und Zweck der Verhältniswahl bei der Besetzung von Ausschüssen und Freistellungen ist, sicherzustellen, dass Minderheiten entsprechend ihrem Wahlergebnis repräsentiert sind. Doch das wurde durch das systematische „Abarbeiten“ und Erschöpfen der Minderheitenliste gezielt verhindert.
Zwar benötigt eine Abberufung formal keinen besonderen sachlichen Grund und ist eine „politische“ Entscheidung des Gremiums. Wenn aber ein Vorgehen, wie im vorliegenden Fall, objektiv dazu führt, den gesetzlich gewollten Minderheitenschutz zu beseitigen, ist es rechtswidrig. Die 3/4-Mehrheit für Abberufungen soll den Minderheitenschutz stärken, nicht dessen Beseitigung durch eine große Mehrheit ermöglichen. Die Abberufungsbeschlüsse gegen die Mitglieder der Liste #S sind nichtig. Damit waren auch die anschließenden Neuwahlen der Mitglieder der Liste ver.di (S und B) nichtig, da es keinen gültigen Anlass (keine freien Posten) gab.
Quelle: LAG Köln, Beschluss vom 28.06.2024, 9 TaBV 52/23
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