Seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Jahr 2019 steht fest, dass in den Mitgliedsstaaten der EU ein effektives System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit bestehen muss.
Ziel dieser Anforderung ist es, Überstunden und gesundheitliche Belastungen für Beschäftigte im Rahmen zu halten. Doch da es in Deutschland noch keine konkrete Gesetzesvorgabe gibt, herrscht immer wieder Uneinigkeit und die Gerichte müssen entscheiden. So auch im aktuellen Fall vor dem Hamburger Verwaltungsgericht.
Der Fall: Klage eines Outdoor-Händlers gegen die Anordnung zur Arbeitszeiterfassung
Ein großes Hamburger Unternehmen, das in ganz Deutschland Outdoor-Artikel vertreibt, wollte sich mit der Klage gegen eine behördliche Anordnung zur Arbeitszeiterfassung wehren. Hintergrund war eine anonyme Beschwerde, in der auf regelmäßige Arbeitseinsätze an Sonntagen und auf Verstöße gegen Arbeitszeitregelungen in der Verwaltung hingewiesen wurde. Die zuständige Arbeitsschutzbehörde reagierte auf die Beschwerde mit einer unangekündigten Betriebsbesichtigung, bei der sich herausstellte, dass etwa ein Drittel der Beschäftigten nach dem Modell der Vertrauensarbeitszeit ohne Zeiterfassung arbeitete.
Die Behörde ordnete daraufhin an, dass das Unternehmen zukünftig für alle Beschäftigten ein System zur nachvollziehbaren Arbeitszeiterfassung einrichten muss, welches Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie Überstunden dokumentiert. Die Klägerin legte Widerspruch gegen die Anordnung ein und argumentierte, dass es keine allgemeine gesetzliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung gebe und der deutsche Gesetzgeber die EU-Vorgaben bislang nicht konkretisiert habe. Somit sei die Anordnung der Behörde nicht gerechtfertigt.
Die Entscheidung des Gerichts: Klage abgewiesen, Zeiterfassungspflicht bestätigt
Die 15. Kammer des Verwaltungsgerichts Hamburg wies die Klage des Unternehmens ab und bestätigte die Anordnung der Arbeitsschutzbehörde. Die Richter stellten klar, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bereits aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) abzuleiten sei. Damit folgte das Gericht den Argumenten der Behörde und verwies auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13. September 2022 (1 ABR 22/21) sowie auf das Urteil des EuGH vom 14. Mai 2019. Beide Gerichte hatten gefordert, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, ein objektives und verlässliches System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen, um die Einhaltung der Höchstarbeitszeiten und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten sicherzustellen.
Nach Auffassung des Gerichts reicht die bestehende Rechtsgrundlage im Arbeitsschutzgesetz aus, um diese Erfassungspflicht auch in Deutschland durchzusetzen. Die Anordnung sei verhältnismäßig und notwendig, um sicherzustellen, dass Arbeitszeitgrenzen und die damit verbundenen Schutzrechte der Beschäftigten eingehalten werden. Besonders interessant für die Praxis: Auch Vertrauensarbeitszeitmodelle entbinden den Arbeitgeber nicht von der Pflicht zur systematischen Erfassung der Arbeitszeit.
Bedeutung für Betriebsräte und Personalräte
Für Betriebsräte und Personalräte ergibt sich aus diesem Urteil eine wichtige Aufgabe: Sie sind als Interessenvertretung der Beschäftigten gefordert, darauf zu achten, dass ein solches Zeiterfassungssystem korrekt und umfassend eingeführt wird. Dabei ist es entscheidend, dass die Arbeitszeiten transparent erfasst und mögliche Überlastungen durch zu viele Überstunden vermieden werden. Die Interessenvertretung kann die Einhaltung der Vorgaben zur Arbeitszeitdokumentation und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten überwachen und auf die Umsetzung der behördlichen Vorgaben achten.
Quelle: VG Hamburg, Urteil vom 21.08.2024, 15 K 964/24
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